Vorsicht, heiß

Wie man auf japanisch baden geht – zu Besuch in einem modernen Ryōkan in dem Bergdorf Yufuin in Japan

Beppu dampft. Über den Dächern der Stadt steigen die heißen Dämpfe der Onsens auf, jener vulkanischen Thermalquellen, für die die Präfektur Oita auf der Insel Kyūshū berühmt ist. Mehr als 170 öffentliche Bäder gibt es hier, in manchen kann man nur seine Füße (Ashu Yu) baden, in anderen auch in in Schlamm oder Sand. Ein sanfter Duft nach Schwefel hängt in der Luft, aber vielleicht bilden wir uns den auch nur ein.

Wir lassen die Stadt hinter uns und fahren die Berge. Etwa eine Autostunde von Beppu entfernt, am Fuß des Berges Yufu liegt das noble Heilbad Yufuin, berühmt für seine schicken Ryōkans (Reisegasthäuser), ein beliebtes Ziel für Wochenendausflügler, die nicht nur das Thermalwasser, sondern ihre Ruhe schätzen.

Das Thermalbad hat am Kaiserhof seit den 7 Jahrhundert Tradition, die erste schriftliche Erwähnung findet es im „Tagebuch des klaren Mondes“ von Teika Fujiwara, seit der Edo Zeit, die 1603 nutzten auch verstärkt Bauern die Onsen zu Erholungszwecken. Onsens gibt es heute überall in Japan, mal sind sie umsonst, mal Teil einer traditionell japanischen Herberge, dem so genannten Ryōkan. Auch sie haben eine lange Geschichte. Das 300 Jahre alte Tawaraya Ryōkan in Kyoto ist zum Beispiel eine der ältesten Pensionen der Welt. Hotelunternehmer Adrian Zecha, der sich schon bei seinen Aman Hotels von Ryōkans inspirieren ließ, eröffnete vor zwei Jahren das Azumi Setoda Ryōkan in der Setouchi Region, strategisch nah in jenem Gebiet, das nicht nur alle drei Jahre von Kunstliebhabern anlässlich der Triennale besucht wird.

Das KAI Yufuin ist ein modernes Ryōkan im alten Stil und eröffnete letztes Jahr. Gebaut vom Architekten Kengo Kuma als Hommage an japanische Bauernhäuser, findet man schwarze Dächer auf den Villen, schwarze Gebäude, sonst ist alles aus Glas, angelegt um einen sanft abfallenden Garten aus Reisfeldern. Die Zimmer sind mit Hitasufiholz ausgelegt, weswegen sie nach Wald duften. Die Möbel und Wandflächen wurden mit Bambus verkleidet, es gibt die mit Washipapier bespannten Schiebetüren (Shoji), auf einem Podest große Matratzen, in den größeren Villen gibt es private Onsens, in jedem Raum wird der Gast von feinen Wildblumenkeksen begrüßt, japanischen Schlappen und zwei Outfits samt Mantel, dem Yukata (Kimono), dem Hausanzug (Samue) und dem Über-Kimono (Tanzen), die alle drei gut und gerne auch im Schaufenster von Comme des Garçons hängen könnten, so schick sind sie.

Gleich nach Ankunft basteln wir unter Anleitung Glücksbringer aus getrockneten Reishalmen. Nebel liegt über den Reisfeldern, es nieselt. Das macht aber nichts, denn gleich werden wir noch nässer. Waren die Onsens einst gemischt (konyoku), wurde seit der Meji Zeit, als sich Japan dem Westen öffnete, getrennt gebadet, und so ist es hier auch. Blau für die Männer, der gelbe Eingang für die Damen.

Ein Video erklärt die Bade-Etikette. Weil Tätowierungen Japan traditionell die Abzeichen von Gangstern sind, wird man gebeten, sie zu verbergen. Dafür gibt es hautfarbene, strumpfhosenartige Klebepads. Gebadet wird grundsätzlich nackt und vor allem sauber. Das heißt, erstmal auf den Hocker setzen und abduschen. Viele Frauen waschen sich dabei auch die Haare und balancieren das kleine Handtuch, das man mitnehmen darf, im Bad dann elegant auf dem Kopf. Die beiden Innenbecken haben eine Temperatur von etwa 39 Grad, das draußen 42 Grad. Man soll nicht länger als 20 Minuten baden, heißt es. Und dann kocht man so vor sich hin, guckt auf einen japanischen Garten, Dampf hängt in den Bäumen, etwas Musik zirbelt, auf den Steinstufen liegt ein toter Frosch, der hat‘s nicht mehr geschafft. Nach kurzer Zeit ist man so gar, dass man es völlig normal findet, mit anderen nackten Japanerinnen auf ein paar Grünpflanzen zu starren. Um den Flüssigkeitsverlust von durchschnittlich 800ml pro Bad auszugleichen gibt es draußen Sorten Eislollis und Eistee aus der japanischen Frucht Kabosu. Neben mir telefoniert ein Mädchen, sanft räkeln sich die Reisterrassen hinab, man guckt tief in den Garten, weit in den Himmel und hoch in die Berge.

Viele Gäste verbleiben hier eine Nacht, verbringen aber zwei Tage im Ryōkan und krönen das Bad mit einem Kaiseki Menu – einem Fest für Menschen, die die kunstvoll angerichtete zu zubereitete japanische Küche lieben. Unseres beginnt mit Sakizuke, Appetithappen mit Shiitake Pilzen und Wildschwein, dann kommt eine klare Suppe mit Krabbenmochi-Einlage (Owan), ein Gebäude aus kunstfertig angerichteten Kleinigkeiten (Hōraku-Mori), von Krabbenkuchen, Erdbeere mit Ente, Kartoffelreiscrackerpraline, Muscheln, mariniert in Miso, dazu Sushi, Sashimi, ein Salat aus Huhn und Pufferfisch-Haut, wer dann noch kann, erhält verschiedene Tempura (Agemono), der nächste Gang heißt Dainomono und ist der berühmte „heiße Topf“, den man am Tisch selber zubereitet, Kobe Beef, Huhn und Wildschweinstücke werden in einer kleinen Holztruhe auf den Tisch gebracht, als vorletzter Gang kommt Reis mit Hijiki Algen und einem Shiso-Blatt sowie eine Misosuppe auf den Tisch (Shokuji), und dann der Nachtisch (Kammi), eine Art Milchteegelee.

Und dann sitzt man da mit all den anderen Japanern, gedämpft, gebadet, schaut hinab in die Reisfelder und ist so entspannt, dass man mit dem bloßen Vorhandensein schon genug zu tun hat. Nebel zieht über den Fuß der Berge, man möchte für immer diesen japanischen Hausanzug bewohnen und begreift, was die Japaner mit Shiawase meinen, mit Glückseligkeit.

(erschienen 2023 in der FAS)