Bufo Bufo ist die erste. Die Erdkröte, wie sie auch heißt, hopst, krabbelt und kriecht in diesen Tagen Richtung Laichgebiet. Da der Mensch zwischen ihr und ihrem Ziel gemeinerweise Straßen angelegt hat, werden Autofahrer und Motorradfahrer derzeit angehalten, besonders vorsichtig zu fahren, denn eine Kröte weiß zwar wo sie hinwill, ist aber nicht die schnellste. Und auch nicht die hellste. Viele Kröten versuchen, sich durch Aufblähen gegen das herannahende Auto zu wehren.
Den Anfang machen in jedem Jahr die Männchen, und zwar alle auf einmal: „Es kann passieren, dass Sie im zeitigen Frühjahr urplötzlich Hunderte Kröten sehen, den Rest des Jahres aber keine einzige mehr“, sagt die Biologin Sophia Lansing, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung.
Reisende Menschen sind ein bisschen wie männliche Kröten, dachte ich, als ich auf dem Instagram Profil einer Bekannten einen Kamin brennen sah, den ich eben erst hinter mir gelassen hatte. Wollte ich doch meiner Auftraggeberin von diesem Ort berichten, zu dem noch kein ausgelatschter Trampelpfad führte. Den noch nicht „alle“ kannten. Pustekuchen!
Nun kann man kann über Größe der Welt, das Reisen und den Fluch der Vernetzung schimpfen. Doch in Wahrheit war das früher auch schon so, es ging nur viel, viel langsamer. Man denke an die erdballspannende Trance-Party-Krötenwanderung, die fast die gesamten Neunziger Jahre dauerte: Techno-Hippies, israelische Ex-Soldaten und Soldatinnen, Feuerballschleuderer, Pilzverkäufer, Schwitzhüttenfans, kurz: die zweite Ahayuasca Generation, die von Microdosing noch nichts gehört hatte, gab im Acht-Achtel Takt die Polonäse um die Welt- von Goa über Südafrika nach Südamerika, und von da über Bondi Beach nach Bali. Und zurück. In den Sechzigern wandelte die Beatnik-Szene durch Amerika nach Mexiko, von dort nach Grenada, und von da nach Marokko. Anfang der 20er Jahre zog es eine andere Schriftstellerkrötenwanderung, prominent gemacht durch die Fitzgeralds, an die französische Riviera, während russische Emigranten, die überhaupt nicht freiwillig wanderten, auf dem Weg nach Paris dem Berliner Stadtteil Charlottenburg den Namen Charlottengrad verpassten. Und um 1900 verliebten sich europäische Maler ins sizilianische Klima, die Pastellfarben am Ätna und die schönen jungen Männer von Taormina. Es ist eine Krux: Der Ort ist so schön, aber wenn man ihn verrät, wird er irgendwann gemein.
Der britische Autor Alex Garland hat aus diesem Dilemma ein Buch gemacht: The Beach, das im Jahr 2000 erfolgreich verfilmt wurde, was erst recht eine Krötenwanderung zur Folge hatte, denn nun wollten alle dahin, wo der Film gedreht worden war: Maya Beach in Thailand musste immer wieder geschlossen werden, um ihn vor dem Massentourismus zu schützen.
Hierzulande geht die Krötenwanderung weiter wie jedes Jahr: Bald nach den Männchen setzen sich die Weibchen in Bewegung. Doch weil es drei Mal so viele Männchen wie Weibchen gibt, springen die Männchen unterwegs auf alles drauf, was nach einer weiblichen Kröte aussieht, krallen sich fest und lassen sich tragen. Manchmal bespringen sie aus Versehen ein anderes Männchen, was ein verzweifeltes „öök, öök, öök“ zur Folge hat. Dann wieder springen Männchen auf ein Weibchen, auf dem schon ein anderes Männchen sitzt, und das hat dann den Salat. Denn loslassen will keiner.(erschienen 2023 in der FAS)