Fauch!

Vor der Erfindung von Wettervorhersagen, Malariaschutzimpfungen oder Airbags waren Reisen oft wild und gefährlich. Ernest Hemingway fuhr ungern ohne Schusswaffe weg. Douglas Adams ließ in seinem Hauptwerk, dem Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“, Baupläne hinter einer Klotür mit dem Schild „Warnung vor dem Leoparden“ verschwinden. Selbst Richard Parker, der Tiger mit dem Pi Schiffbruch erleidet, bleibt über weite Strecken der Reise ein fleischfressendes Monster.

Wilde Tiere sind etwas, denen die meisten Menschen auf Reisen nur in Form von gemusterter Kleidung begegnen. Auch ich trug neulich eine Hose mit Leopardenprint. Man kann darüber streiten, ob sie gut oder schlecht aussah, aber beim Betrachten der Fotos fiel mir hinterher etwas auf. Sie war laut. Es war eine brüllende Hose, die schrie: GUCKT HER!

Seit einer Weile, so möchte man meinen, hat es sich durchgesetzt, auch und vor allem im Urlaub zu schreien und zwar was das Zeug hält. Auf einer Reise auf einem Kreuzfahrtschiff sah ich unlängst sehr viele herumschreiende Oberteile, es war auffällig, dass sie von Damen in gehobenem Alter getragen wurde. Die Tiermustertops waren oft aus Nylon oder anderem Kunstgewebe, manchmal mit Chiffon, oder aus Chiffon, häufig aber aus T-Shirtstoff. Mal als schlabberiges T-Shirtkleid über einer weißen Dreiviertelhose (mit Glitzersandalen, Glitzergürtel oder einer Tasche mit Glitzerapplikationen), dann wieder enganliegend zu schwarzen Hosen oder Röcken. Es gibt sie mit und ohne Arm, mit und ohne Kragen, mit und ohne Ausschnitt, aber immer in Kombination mit Schmuck, einer glitzernden Brosche, einer Halskette oder funkelnden Armreifen, so dass der gesamte Oberkörper der Trägerin einem irren Schreikrampf ähnelt.

Man kennt das vielleicht von früher. Sätze wie: Jetzt, mach dich doch mal schick. Oder: Zieh dir mal was Elegantes an. Oft enden solche Aufforderungen in irgendeinem vierten oder fünften Stock eines Kaufhauses, in das man sonst nie geht, in grellen Umkleidekabinen, in denen man sich in quietschpinke Tafettawürste zwängt, die man dann kauft, obwohl sie zwicken, weil man ja noch ein paar Kilo abnehmen will. Auf dem Nachhauseweg weiß man dann schon, dass auch das wieder nur Fotos ergibt, die man hinterher bereut.

Tiermusteroberteile hingegen sind so eine Art Wiedergänger, sie gehen aber sie kommen immer wieder, gelten sie als Wolperdinger unter den Dress-Dilemmas. Sie verheissen eine gewisse Wildheit, vielleicht nicht unbedingt die von Eartha Kitt, der Sängerin, die sehr gerne Leopardenprints trug, aber immerhin sind Tiger und Leoparden Raubkatzen, und selbst von Zebras hat man gehört, die austreten oder zubeißen. Tiermusteroberteile verheissen eine gewisse Eleganz, auch wenn die von gestern ist, stammt sie noch aus einer Zeit, als echte Pelzmäntel als Statussymbol galten, und es die Menschen ganz in Ordnung fanden, dass reiche Leute mit Gewehren wilde Tiere töten, um ihnen das Fell abzuziehen. Und sie sind praktisch, denn sie nehmen nicht viel Platz weg im Koffer oder in der Reisetasche. Man kann mit einem Tiermusteroberteil ein Outfit in eine Abendgarderobe verwandeln, mit der man problemlos in die Disko oder zum Diner gehen kann.

Tiermusterklamotten werden von allen Altersgruppen gerne getragen, aber woher kommt diese Re-Re-Renaissance bei älteren, weiblichen Urlauberinnen? Gibt es einen ähnlichen Trend bei den Herren? Und wieso reicht das Gebrüll eines Tieres nicht, aus, warum muss dann da auch noch Glitzer bei?

Was wollen uns die Trägerinnen damit sagen, außer: GUCK HER! Denn meinstesn, wenn man sie dann anstarrt, sind sie ja beleidigt, oder tragen sie diese Oberteile am Ende nicht für die anderen sondern für sich selbst? Der Tarnung können sie nicht dienen, sonst würden sie sie ja im Urwald anziehen, was aber gefährlich wäre, weil man nie weiß, wer da auf einen schießt. 

(erschienen 2023 in der FAS)