Neulich waren wir an der norddeutschen Küste unterwegs, und wie so oft nahm ich vom Frühstücksbuffet ein hartgekochtes Ei mit. Warum machst Du das, fragte mich mein Mann, dem das immer etwas peinlich ist. Wer weiß, was uns noch blüht, erwiderte ich und steckte zur Sicherheit noch zweites ein.
Mit meiner Eiermasche stehe ich nicht allein. Die Queen, so weiß man seit ihrem Platin-Thronjubiläum, trug ein Marmeladensandwich in ihrer Launer-Handtasche, „für später“. Margaret Thatcher, die ebenfalls eine Launer benutzte, schwor auf hartgekochte Eier, auch wegen ihrer Figur. Für mich ist das Ei inzwischen mehr als nur ein Ei, es ist eine Art Restaurantrücktrittsversicherung. Es glänzt in Zügen, in denen das Bordbistro wegen Personalmangels geschlossen bleibt. In Hotels, in denen es kein a la carte Restaurant mehr gibt, sondern ein Buffet, rettet es mir das Abendbrot, denn mit einem Ei kann man einen Salat in ein Gericht verwandeln. Mit einem Ei hat man die Wahl.
Ich verstehe die Leute aus dem Gastgewerbe ja: Die Energiekosten steigen, der Fachkräftemangel ist ein Problem, nicht nur bei der Deutschen Bahn. Auf dem Bewertungsportal Holidaycheck haben sich Artikel, in denen von Personalmangel die Rede ist, seit 2018 verfünffacht. Um zu überleben berechnen Restaurants nun Energiepauschalen, Speisekarten weisen zuvor inkludierte Beilagen als zubuchbare „Extras“ aus, und wer ein Buffet anbietet, der spart nicht nur Personal, der Wareneinsatz ist besser planbar, es müssen keine Speisekarten oder Brotkörbchen verteilt werden, und mehr Gäste essen schneller. Aber ist das dann noch schön?
Egal wie schick – ständig herrscht Unruhe, dauernd stehen Leute auf, laufen rum, stehen an, so wie in einer Kantine. Ungemütlicher ist da eigentlich nur noch das Flying Buffet, das so heisst, weil man an Stehtischen darauf wartet, dass ein Tablett Häppchen an einem vorbeifliegt. Und Buffets sind Blender. Sie sind wie die Blue Man Group, sie machen was her, aber bei genauerer Betrachtung hat das keine Substanz. Man muss kein Vegetarier sein, um zu bemerken, dass knackfisches Gemüse immer seltener auftaucht, als die drei Reiter der Bauchfettapokalypse: Fett, Zucker und Weizen. Viele Gerichte könnten auch eingeschweisst in riesigen Plastiksäcken transportiert werden. Gibt es Fleisch, badet es oft in Soße und fällt auseinander, wenn man es anhebt. Eine Freundin erzählte neulich von einem Buffett, bei dem es Würstchengulasch gegeben hatte. Selbst die vegetarische Option sei Würstchengulasch gewesen, nur eben aus vegetarischen Würstchen. Welche genussvollen Assoziationen kann ein Mensch bei dem Wort Würstchengulasch haben? Ein weiteres buffetimmanentes Problem ist die Konsistenz: Alles, was lange warm und in Soßen steht, wird irgendwann matschig und weich. Alles, was matschig und weich ist, macht etwas mit einem, wenn man es zu sich nimmt. Und Buffets hetzen. Wer im Restaurant in eine Speisekarte schaut, kann darüber nachdenken, was er essen möchte. Buffetts sind dagegen wie CNN live. Es geht alles so schnell, man sieht was, aber versteht man es auch? Ist der Blumenkohl eine Attrappe? Ist das Fleischdingends in brauner Soße Fleisch? Mit was ist die Soße angedickt? Hinter einem stehen Leute, man muss sich beeilen, was soll man essen, die anderen warten schon, ach, dann nehme ich eben…. und in genau diesen Momenten macht ein hartgekochtes Ei in der Tasche einen echten Unterschied.

(erschienen 2022 in der FAS)