Sinnsprüche

erschienen in der FAS, 2015: Letzte Woche, Langeoog. Draussen war es diesig. Den Frühstücksraum erfüllte ein Aroma aus Mett und warmem Ei. Menschen drängten zum Buffett. An der rückwärtigen Wand las ich: „Die Dinge kommen nicht zurück: das vergeudete Leben, die versaute Zeit…“ Ich setzte meine Brille auf. Ach, so. Richtig hiess es: ”das vergangene Leben“ und ”die versäumte Zeit“. Ich drehte mich um und sagte: ”Schatz, wir sind schon wieder in einem sprechenden Hotel gelandet.“

Früher waren Hinweisschilder dazu da, den Gast zu warnen. Vor steilen Treppen, tückischen Stufen, den Öffnungszeiten oder einem Hund. Heute gibt es das Sinnspruchschild – die Verlängerung des Warnschilds im Zeitalter der Achtsamkeit. Man erkennt es sofort an der verschnörkelten, farbigen Typo, die auch ohne Brille schlecht lesbar ist, weil sie auf Motive aus grauen Steinen, Sonnenuntergängen oder Blattwaldansichten gelayoutet wurde. Das Sinnspruchschild besteht oft aus Acrylglas, öfter aus Leinwand und Holz. Gerahmt oder ungerahmt findet man sie auf dem Weg zu den Toiletten, in und vor Fahrstühlen. Wellnessbereiche sind ohne sie gar nicht denkbar, und in Foyers werden ganze Wände als Schild benutzt und mit Tiefsinnigem bemalt. Inhaltlich ist der Hotel-Sinnspruch ein Neffe der piefigen Wetterkalenderweisheit und ein Vetter des müden Aphorismus. Der Fantasie sind da, haha, keine Grenzen gesetzt: Hinkende Metaphern, humpelnde Allegorien und kreuzlahme Zen-Sprüche taugen ebenso wie abgedroschene Zitate von Goethe, Schiller oder Unbekannt. Da heisst es:”Wer immer nur nach dem Zweck der Dinge fragt, wird ihre Schönheit nicht erkennen.“ Oder: ”Bevor du dich daran machst, die Welt zu verbessern, geh dreimal durch dein eigenes Haus.“ Aber man ist eben nicht zu Hause, sondern in einem Hotel, und weil jeder weiss, dass Schilder sprechen können, haben sich in den letzten Jahren viele ehemals schweigsame Hotels in naseweise, unerträglich schwatzhafte verwandelt.
Zu viele Buddhafiguren zeugen von einem Mangel an Stil. Vor solchen Häusern sollte man sich in Acht nehmen. Auch nicht unumstritten ist der Trend, Hotelzimmer mit esoterischen Selbsthilfebüchern auszustatten, die der unerleuchtete Gast zum Vorzugspreis an der Rezeption erwerben soll. Aber ein zuviel an Sinnsprüchen? ”Das ist, als würde man in einem Guru wohnen, der einen von morgens bis abends zuquatscht“, sage ich später beim Frühstück, mit dem Rücken zur Laberwand. ”Denk an das Hotel in Karlsruhe“, mahnt mein Mann.
Dort hatten wir im Winter vor zwei Jahren gewohnt und über den Sinnspruch am Fahrstuhl zunächst gelacht. Im Lauf der Nacht hatte sich aber herausgestellt: Unser Bett war ein mit rotem, abgeschabtem Samt bezogenes Riesen-Herz. Unterhalb des einen undichten Fensters befand sich eine S-Bahn-Station, das andere ebenfalls undichte Fenster ging auf den Parkplatz zum Rewe Markt, nebenan. Auditiv lag man also mitten auf einer Kreuzung, atmosphärisch in einem Puff. Die Heizung blieb defekt. Und um 23 Uhr verwandelte sich das Foyer samt Rezeption in eine crazy Cocktailbar mit Türstehern, Kunstpalmen, lila Licht und ohrenbetäubendem Bunkentechno. Damals hätten wir den Sinnspruch als Warnschild lesen sollen. Er hatte gelautet: ”Die schönsten Tage sind die Nächte.“