Wie man mit einem Schiff in kurzer Zeit ganz viel von Japan sehen könnte, aber am Ende doch dran vorbeifährt. Eine Reise mit der Regent Seven Seas.

„Kuckuck“ macht die Ampel. Wir stehen an einer Kreuzung in Nagoya, einer Hafenstadt mit dem Charme Hannovers: Auf den ersten Blick öde, aber in Wahrheit ganz nett. In der Ferne steht ein Beinahe-Eiffelturm, hinter uns Geschäfte, vor uns eine Baustelle. Jetzt ist grün, wir gehen. „Ihr wollt doch nicht etwa Bahn fahren?“, hatte man uns heute früh am Pier entgeistert gefragt, als wir zu Fuß aufbrachen, den kostenlosen Shuttle Service des Kreuzfahrtschiffes stehen ließen. Doch wie entspannt ist es, wenn man zwar kein Schild versteht, aber alle Maschinen Englisch sprechen? Wenn einen in der U-Bahn lauter Menschen umringen, die einen wahrnehmen, aber nicht anrempeln? Oder man nach dem ersten Mal erfolgreich Umsteigen das Gefühl hat, ein kleines Abenteuer bestanden zu haben? Denn ist der Himmel auch so grau wie daheim – wer wie wir zum ersten Mal Japan besucht, erlebt, was Reisende im besten Fall erfahren: Alles ist bemerkenswert. Bepackt mit Moomin-Souvenirs und Uniqlo-Tüten, denn elegant casual“ bedeutet bei Regent Seven Seas: keine Jeans nach 18 Uhr, gehen wir am Abend zurück Bord, endlich korrekt ausgerüstet für das, was kommt.



Definiert man Luxus nicht als Abwesenheit von Negativen, sondern als Anhäufung von Positiven, ist man auf der Regent Seven Seas Explorer richtig. Alles ist inklusive, alle Zimmer sind Suiten und mit Balkon, es gibt fast so viele Mitarbeiter wie Gäste (momentan ist das Verhältnis 553 zu 686), 24 Stunden Room-Service, ein großes und vier Spezialitätenrestaurants, einen Pool-Grill, kostenfreien Wäscheservice, Wlan, Spa, Gym, Friseur, ein Casino, eine Boutique, ein Showtheater, Live-Musik, Filme, Vorträge, Bars, Restaurants und große Betten. Beinahe 500 handgefertigte Kronleuchter befunkeln eine zehnstöckige Welt aus Glitzer, Marmor, Messing, Teppichen und 2500 Kunstwerken im Wert von etwa 7 Millionen Dollar, die sich wie auch das Interieur nicht entscheiden können, zu welcher Epoche sie gehören wollen – oder an welchen Ort. Ein schwimmendes Hotel, ein bisschen zu stark geschminkt.

Die Route, die wir fahren, hat das Schiff bereits zwei Mal hinter sich gebracht und jedes Mal gab es neue oder andere Bedingungen für die Anlandungen. Ob in Kobe, Osaka und Kyoto, in Busan und Jeju in Südkorea, Beppu, Nagasaki, den Inseln Amami-Oshima und Okinawa, in Kochi oder in Shimizu, der letzten Station der Reise, wo uns ein pitturesker Ausblick auf den Berg Fuji erwartet. Japan sei schwierig, erklärt der Chef der Ausflugsabteilung. Schon immer gewesen, und jetzt nach der Pandemie erst Recht. Nach über zwei Jahren fast vollständiger Isolation öffneten die Grenzen erst letzten Oktober. Man könne schwer Restaurantbesuche organisieren, denn Rezepte würden für Allergiker nicht geändert, und die meisten Gäste seien nicht gut zu Fuß. Man müsse mit lokalen Touranbietern arbeiten, die hätten die Busse, das Personal und Kenntnis über kurzfristige Gesetzesänderungen. Doch der Großteil der Menschen an Bord würde Japan bereits kennen. Sie hätten diese Reise wegen der Marke Regent gebucht. Tatsächlich sind 464 Personen so genannte Wiederholer, die zuvor an wenigstens einer Kreuzfahrt teilgenommen haben und als Teil der „Familie“ von Vergünstigungen auf diesem Schiff profitieren, das 2016 für 450 Millionen US Dollar gebaut und „als luxuriösestes Kreuzfahrtschiff der Welt“ präsentiert wurde.
Im Hafen von Kobe. Über den Häusern hängt die gelbe Sonne, so nennt man das, wenn viel Sand in der Luft schwirrt. Ein Bus bringt uns nach Kyoto. Vor dem Kiyomizudera-Tempel halten Bäume an den letzten Kirschblüten fest, Läden bieten Pickles und Mochi an. Horden von Touristen schieben sich die Treppen hoch. Ein paar Straßen weiter lernen wir im An, einem Kulturerlebnis-Haus, wie man aus roter und gefärbter weißer Bohnenpaste Wagashi zubereitet, das Konfekt, das während der Teezeremonien gereicht wird. Wir kneten, falten, drücken, formen Tulpen und Rapsblüten, die aussehen wie verunglückte Mottenlarven, aber passabel schmecken. Nicht zu süß, mit der Konsistenz von Marzipan. Im Stadtteil Gion warten Touristen mit Kameras zwischen 17 und 18 Uhr darauf, dass Geishas zwischen den schmalen Häusern zur Arbeit huschen, um sie zu fotografieren.
Einen Tag später in einem anderen Bus: „So, jetzt könnt ihr ein bisschen ruhen, denn gleich werdet ihr ein bisschen gehen“, grinst der Guide und setzt sich hin. Dösende Gäste fahren durch ein graues Osaka. Wir halten, steigen aus, laufen durch einen Park um die Burg herum, treffen uns wieder am Parkplatz. Fahren weiter zum 170 Meter hohen Umeda Hochhaus. Wir fahren aufs Dach des Gebäudes. Da kann man dann runtergucken. In den Betongebäudewald, der bis hinter den Horizont reicht, und an Stellen sogar grün schimmert. Es heißt, Zen sei die Kunst den Polarstern am Südhimmel zu spüren. Wehmütig blicken wir auf dem Rückweg auf die Berge von Kobe und versuchen den zauberhaften Kräutergarten zu spüren, den es in den Hügeln geben soll.

Am nächsten Tag begegnen wir im Pacific Rim, einem der Spezialitätenrestaurants, dem Küchenchef Michael Meyepa. Asiatische Cuisine sei seine Lieblingsküche, sagt er. Er war gestern in Kobe an Land essen und suche immer nach Möglichkeiten, die Speisekarte mit lokalen Produkten zu ergänzen. Etwa das Gewürz Furikake, eingelegte Auberginen, Ingwer. Doch weil auf einer Cruise das Essen für viele eine der wichtigsten Beschäftigungen an Bord ist, und die meisten Gäste das haben wollen, was sie kennen, findet man japanische Gerichte nur punktuell hier, im Pacific Rim Restaurant und gelegentlich auf der Karte des Hauptrestaurants. Momentan stammen von 686 Personen 605 aus den USA, Großbritannien, Kanada und Australien, und die wollen Fisch, Steaks, italienisch, französisch, und am Pool Salat, Burger, Pizza, Backwerk, alles fein und liebevoll angerichtet und im Überfluss vorhanden. Für 14 Tage plant Meyepa 272 Kilo Lachs, 540 Liter Milch, 136 Kilo Schokolade, 22800 Eier, 1250 Flaschen Champagner ein. Das Protein, also Fleisch, Geflügel und ein Teil des Fisches wird in den USA bestellt. Täglich werden 1000 Mahlzeiten zubereitet, pro Person belaufen sich die Verpflegungskosten auf 32 Dollar.

„Wir finden das hier super“, erzählt uns ein Pärchen aus den USA. Sie reisen seit Jahren mit Schiffen von Regent und sind Teil der „Familie“, die je nach Aufenthalten in Klassen unterteilt wird. Die höchste heisst Commodore, die erreicht man nach 2000 Nächten, umgerechnet sind das insgesamt 5,48 Jahre an Bord, in Dollar rund 1,9 Millionen. Einige machen auch eine Grand-Tour, das heisst, sie ziehen 90 Tage nicht aus ihrer Kabine aus. Wie bei vielen Schiffsreisen schätzen sie den „Rundum-Sorglos“-Aspekt.






Seetag. Wir haben 38 Knoten Wind, es ist stürmisch. Schon heute Morgen war die Pilatesstunde bei Selvendran von Wanken und Kichern begleitet. Reggaemusik weht über den Pool, der hin und herschwappt. Zwei Frauen, eine mit lila Haaren, die andere mit Arschgeweih räkeln sich auf den Liegen, sie wirken zwischen den im Country-Club-Stil gekleideten Damen und Herren ein bisschen deplaziert, so wie Punks auf Sylt. In der Bar lernen Gäste Origami, andere Chachacha. Nebenan macht eine Gruppe im Culinary Arts Kitchen einen Kochkurs. Im Kartenzimmer spielt eine Gruppe Karten, und im Bauch des Schiffes gibt es Bingo. Man hört Gesprächsfetzen: Waren sie schon auf der Seabourne? Freunde von uns fahren immer mit Silversea. Nein, Sie müssen mit Windstar fahren! Ich war schon dreizehn Mal mit Windstar unterwegs! In den Restaurants umwuseln Servicekräfte unermüdlich die schick gekleideten Gäste in einem nahezu perfekt aufeinander abgestimmten Ballett: Pro Tisch ein Sommelier, ein Kellner ein Oberkellner. Nach dem Diner gibt es immer irgendwo Musik. In der Bar spielt der Pianist was von Billy Joel, im Theater wird eine Show aufgeführt, und in einer anderen Bar singt ein Duo „Billie Jean“. Doch dieses amerikanisch angehauchte „Viel hilft viel“ des Schiffes steht oft im Gegensatz zum „weniger ist mehr“ Japans, zu den nachdenklichen, stillen Momenten, wie man sie in Nagasaki im Atombombenmuseum erlebt, oder auf der Insel Amami-Oshima an einem fast verlassenen Strand oder sogar auf dem Sonntagsmarkt in Kochi auf der Insel Shikoku, wo ein Pilger zwischen den Ständen sitzt und seine Hände aufhält, weil ihm zwischen den 88 Tempeln das Geld ausgegangen ist. Aber das macht den Leuten nichts aus, so scheint es. Sie tanzen und lachen. Auf der Flucht vor dem Trubel wandern wir durch die Gänge. Auf dem Flur von Deck vierzehn hängen schwarzweiss-Fotografien in Kolonialherrenromantik. Inder spielen gegen Briten Cricket. Man sieht ein Zebra. Eine Rikscha. Daneben hängen Ölbilder, die so tun als wären sie echte Picassos – und es am Ende auch sind.






Hayata parkt vor der Seilbahn. Hinter ihm hängt eine Ukulele. Er spielt in seiner Freizeit in einer hawaiianischen Band, hauptberuflich fährt er Touristen wie uns in Bussen umher. Wir steigen aus. Mit der Nihondaira Seilbahn geht es talwärts zum Toshogu Schrein. Der berühmteste Shogun Japans liegt hier begraben, Togukawa Ieyasu. Er begründete das Shogunat, das während der Edo-Zeit ab 1603 herrschte. Seine Ruhestätte, der reich verzierte Schrein und das anliegende Museum sind ein beliebter Pilgerort. Etwas später stehen wir vor einem der vielen Artefakte. Es ist ein Katana aus dem 14 Jahrhundert, das wie viele andere ihm zu Ehren gespendet wurde. Wir sehen alte Rüstungen, eine Replika seiner Brille, und seine Esstäbchen Silber. Der bunt verzierte Schrein am hang steht im Gegensatz diesen schlichten Dingen und dem schmucklosen Grab unter den Bäumen. Vögel singen, ruhig ist es plötzlich. Doch wir müssen wieder los. Ich kaufe noch schnell einen Segen mit dem dreiblättrigen Familienwappen der Togukawa. Zwei Mädchen erklären mir mit Google Translate und Händen und Füßen, was draufsteht. „Du wirst Glück haben, musst aber dranbleiben.“ Da ich gesehen habe, dass die Leute ihre Papiersegen an Fäden binden, tue ich das auch noch schnell, bevor die letzte Seilbahn hoch zum Parkplatz fährt. Am Bus erzähle ich Hayata und unserem Guide, Fumi, davon. „Wolltest du das Glück nicht behalten?“, fragt Fumi. „Nur, wer den Segen zurückgeben will, bindet ihn an.“ Entgeistert gucke ich sie an. „Mach dir keinen Kopf“, lacht sie. „Im Shinto nimmt man es nicht so genau. Der Segen ist dir ins Herz gefallen, da bleibt er dann auch.“

„We are famileeeee…“, singt die Frau voller Inbrunst. Kreuzfahrtdirektorin Lorraine Weimerskirch steht vor der geschwungenen Prunktreppe. Es ist der vorletzte Abend, übermorgen gehen wir in Yokohama von Bord. Die Band und das Entertainment-Team geben nochmal alles. „We are“, nickt Lorraine und zeigt beim Wort „famileeeee“ mit ausgestrecktem Arm lächelnd auf die von der Balustrade herabschauenden Gäste. Hinter der Treppe betritt ein Ehepaar den Fahrstuhl. Der Mann drückt eine Taste, die Tür schließt sich, die laute Musik verstummt, seine Frau murmelt leise: „Danke.“
(erschienen, 2023 in der FAS)