Zwischen den Kiefern


erschienen in der FAS, 2019: Wer mit Freunden ein Wochenende ans Meer fahren will, kann ein Ferienhaus mieten. Er kann aber auch ein Architekten-Design-Ferienhaus mieten.

Auf dem Weg zum Meer in Dierhagen, Neuhaus.


Frost liegt über dem Land. Die Sonne ist ein heller Fleck am milchweißen Himmel, die Felder vom Reif versilbert. Hinter uns liegt eine laute Stadt. Vor uns ein Wochenende mit Freunden und die Straße zur Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, wo man im Sommer kein Bein auf die Bodden kriegt, weil es da so schön, und inzwischen so hip und so teuer ist.

Der Schlüssel für Haus „Pine“ kam per Kurier. Die Bedienungsanleitung war eine App, von der man sich wünschte, jeder Ferienhausvermieter würde ein so ausführliches, digitales Handbuch verteilen. Ihr müsstet nie wieder mit uns Gästen reden. Nur euer Haus, das spräche zu uns.

Die beiden Architektenhäuser „Pine“ und „Sand“ ruhten inmitten hoher Kiefern am Rand einer kleinen Siedlung und wirkten dort ein bisschen wie Supermodels auf dem Feuerfehrfest. Betrat man „Pine“ und schaute raus, schien die Welt voller Bungalows mit roten Klinkern, gelben Wänden und grünen Dächern seltsam störend, denn hier drinnen war alles weit und klar und modern. Doch dann nahm man in einem der Design-Stühle Platz und plötzlich wurde die Aussicht zur Sichtachse, in der sich die Kiefern hochpoetisch zu den Dünen neigten, dass man ihnen zurufen wollte: Bravo, die Farbe eurer Rinde passt hervorragend zu dem aparten Kissen dort.

Im Jahr 2016 baute Architekt Herbert Hussmann die beiden Holzhäuser auf einem Stück Pachtland, auf dem sich zuvor zwei DDR Bungalows befunden hatten. Seit zwei Jahren sind sie fast durchgehend ausgebucht. Mit ihren jeweils 120 Quadratmetern sind sie wahre Raumwunder, es gibt nur wenig, clever gesetzte Wände, aber viel Platz. Schränke sind in die Wände eingelassen, von jedem Bett der vier Schlafzimmer kann man in Bäume blicken, Lichtschalter leuchten im Dunkeln dezent blau, und die Fenster sind wie so oft in solchen Häusern durchsichtige Wände oder wahre Gemälde, so wie das über dem Waschbecken im Obergeschoss. Man könnte Stunden im ersten Stock auf dem ledernen Sofasack liegen und zwischen den Baumkronen in die Dünen starren – bis einem ein Bewohner des Nachbarhauses durchs Panorama latscht.

Blick aus dem Badezimmerfenster

Kurz nach der Anreise verteilten sich fünf Erwachsene zwischen Obergeschoss, Wohnküche, Essplatz, Kamin und Sofa. Einer las, einer döste, einer schrieb eine Einkaufsliste, ein anderer räumte den Kühlschrank ein, der fünfte machte Feuer im formschönen Kamin. Man war beieinander, ohne sich auf den Keks zu gehen. Nichts stand rum, deswegen rannte auch niemand irgendwo gegen. Doch der Schall trug: jeder hörte jeden.

Nach einem Ausflug zum örtlichen Edeka (Steht der Weg in der App? Willst du Pampelmusen? Das sind Pomelos.) entdeckten die Gäste die wahre Tiefe des Hauses: Ich suche ein Brett. Hast du eine Reibe gesehen? Machst du mal bitte den Fernseher leiser? Klar, wenn ich wüsste, wie.

Essbereich in Haus Pine

Vom Pürierstab bis hin zur Knoblauchpresse, vom Induktionsherd bis hin zu Anrichteplatten, kunstvollem Steingutgeschirr und geschmackvollen Kaffeebechern war alles hochwertig und vorhanden. Die Sauna? Die Gute, von Klavs. Der Weinkühlschrank? Liebherr. Die Anlage? Doch nicht Sonos – Naim! Auf den Betten lagen beqeme Boxspringmatrazen, es gab Regenduschen, und an den Wänden hing moderne Kunst, die man einfach nicht nicht mögen konnte. Selbst die totgeschlagenen Mücken an der Wand über dem Bett wirkten irgendwie schick. Kein Plüsch, kein Stuck, kein überflüssiger Teppich und keine ornamentale Üppigkeit sagte den Gästen: Achtung, hier ist es schön. Die Dinge gaben eigenen Gedanken Platz.

Doch so unaufdringlich ein Architektenhaus daherkommt, es will immer auch gelesen werden. Wie in einer Filmszene gibt es nichts Zufälliges. Nichts ist sinnlos. Absichtsvolle Spuren, und alle sagen: Jetzt. Jedes Buch ruft: Abitur. Jede Aussicht ist ein Bild. Jedes Gerät steht so selbstbewusst und funktional an seinem Platz, dass man fast fragen möchte: Entschuldigung, lieber Toaster (falls du ein Toaster bist) ich würde gerne eine Scheibe Weißbrot in dich hineinstecken. Sie ist aber von Aldi.

Solche Häuser lassen einen zur Ruhe kommen, weil sie nicht ständig etwas von einem wollen. Man kann so tun, als wäre man ein Mensch ohne Vergangenheit, ohne Sorgen. Man beginnt zu entspannen. Oder das Gegenteil tritt ein. Man wird traurig, weil man begreift, dass das eigene Leben (und man selbst) nie so perfekt aussehen werden, wie das Gemälde, in dem man wohnt.

„Pine“ beruhigte vier und deprimierte einen. Der ging ans Meer, spazieren.

Haus Sand

Am Nachmittag scrollte eine bei Net-a-porter, einer schaute zweite Fussballbundesliga, zwei kochten und eine wollte die Musik leiser machen, drückte aber aus Versehen auf eine falsche Taste. Streicher erfüllten den Raum und verwandelten die Szene in einen Arthousefilm. Das Feuer im Kamin brannte still vor sich hin. Man hörte Sätze, wie: Ist die Sauna schon an? Da piept was. Ich hab nichts gemacht. Das ist der Weinkühlschrank. Gehen wir nochmal ans Meer?

Man sprach über den zweiten Teil von Mamma Mia, Brustimplantate, Dieselfahrverbote, und ob man erst Wizard und dann Siedler, oder doch Bohnanza spielen sollte. Nachts unternahmen die Gäste einen Gang ans Meer. Eisluft in den Gesichtern, an den Händen. Kein Mond war zu sehen, doch am sternklaren Himmel der kleine Wagen, daneben Orion, darüber die Milchstraße. Am Horizont blinkten die Lichter von Schiffen.

Der nächste Tag war erneut gefüllt mit Ruhe, Ostseeluft, Wind, Sichtachsen, Kaminfeuer, Sauna. Einer las, einer schlief, eine kochte, einer passte aufs Feuer auf, der fünfte war wieder am Meer. Wind zerrte an seiner Kapuze. Pärchen stemmten sich gegen den Wind. Eine Gruppe Enten schwamm in die Brandung. Viel war nicht los, in Dierhagen Neuhaus. Der Hafen im Ort war menschenleer. Die Bucht zugefroren. Eine weiße Boje steckte bis zum Hals im Eis.

Kamin in Haus Pine

Zurück am Kamin wurde gelesen. Die Bücher in Haus „Pine“ waren – bis auf einen Krimi – angesagte Feuilletonliteratur, autobiografische Selbstreflektionen oder Autorenbücher, die zeigten, wie schön und rissig und wirklich die Wirklichkeit sein kann. Man brauchte keinen Spiegel um zu reflektieren, dafür gab es Buchstaben, Möbel, Wände. Ein Reiseführer für Architekten zeigte den Gästen andere, noch aufregendere Ferienhäuser, Kuben mit Spiegelfronten, orangene Leucht-Ufos in finnischen Wäldern. Gebäude, die verloren in der Welt stehen und einen daran erinnern, dass es Menschen gab, die eckige Gedanken dachten. Schau mal, hier. Da müssen wir als nächstes hin. Wo ist das denn? Ist doch egal, wo. Das Haus ist so schön.

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