erschienen 2000 in der Süddeutschen Zeitung: Lustig bekifft
Neues vom „Wu Tang Clan“: Die Welt geht bald unter
Hip-Hop ist die gesprächigste Form von Popmusik, und wer keine Geschichte zu erzählen hat, ist kein Rapper, sondern eine Witzfigur. Die Mitglieder des Wu Tang Clans sind beides, denn ihre Geschichten sind so gut und absurd, dass man sich immer freut, von ihnen zu hören. Das liegt an der Ideologie des Clans, gegen den George Clintons Parliament wirkt wie eine Truppe fußlahmer Muppets: Kung-Fu-Filme, selbst interpretierte religiöse Weltbilder und eine lustig bekifften Zahlenmystik. Staten Island ist „Shaolin“, und daran hat sich auch beim dritten Album „W“ nichts geändert. Die Kräfte des Bösen wollen dem Clan nach wie vor an den Kragen. Die Welt wird untergehen, vielleicht erst 2012, aber in jedem Fall irgendwie bald. Und alles plus alles ist nicht unendlich, sondern Neun. Deswegen tauchen auch immer nur neun Mitglieder auf, egal, wie groß die Gruppe um Produzent RZA gerade ist.
Wer absurde Weltanschauungen allzu laut äußert, kommt aber in die Klapsmühle. Von dort ist einer der begabtesten Rapper des Clans, Old Dirty Bastard, zwar immer wieder ausgebüxt, doch jetzt sitzt er wieder. Deswegen fehlt er auf dem neuen Album. Neu sind Gäste: Snoop Doggy Dogg, Isaac Hayes, Redman, Nas, Busta Rhymes sowie Junior Reid. Vor allem Hayes und Nas fügen dem Wu-Sound Vorzüglichstes hinzu. Produzent RZA hat auch diesmal nicht auf die drei essentiellen Elemente verzichtet: ein heftiger, stampfender Bass, die flüssige Wiederholung von Phrasen anstelle von Refrains und viele Krawumms. Doch die Lieder klingen beinahe lieblich, so anschmiegsam umranken Streicher und Soulfragmente die nach wie vor krude Botschaft der Clanrapper: Friede ist „Chi“, und wem das nicht passt, kriegt eins aufs Maul. Manche sagen, der Wu Tang Clan ist ein Haufen paranoider Spinner, aber das wäre gemein. „W“ ist ein wirklich fabelhaftes Hip-Hop-Album. Nicht jeder Irre bringt so was zu Stande.
AREZU WEITHOLZ