erschienen 2000 in der Süddeutschen Zeitung:
Der Mann, der die Frauen hasste
Was kann er dafür, dass die Welt schlecht ist? Der Hip-Hop-Musiker Eminem verkauft Millionen Platten und beleidigt seine Familie
Eminem weiß, was sich gehört. Als ihm kürzlich drei MTV-Awards verliehen wurden, dachte der Rapper zuerst an seine Familie: „Danke. Jedes Mal, wenn mich einer von euch verklagt, verkaufe ich mehr Platten.“ In diesem Jahr ist er von seiner Mutter, seiner Frau und von seiner Oma verklagt worden. Wegen der bösen Dinge, die er über sie erzählt, und wegen seiner Lieder, in denen er sie meuchelt. Und wenn auch nur eine Klage Erfolg hat, dann kostet ihn das eine zweistellige Millionensumme, und zwar in Dollar.
Eminem heisst Marshall III Mathers, kommt aus Detroit, ist 27, Vater einer fünfjährigen Tochter, bald geschieden und das einzige weiße Schaf aus einer Familie mit lauter schwarzen, wenn man ihm glauben möchte. Er hat blondgefärbte Haare, blaue Augen und wirkt manchmal etwas bedröppelt, geistesabwesend, als würde ihn alles nichts angehen.
Das ist kein Wunder, in ihm stecken mehr als nur eine Persönlichkeit, nämlich drei: Die Figur Slim Shady fiel ihm 1997 auf dem Klo ein. „In Slim Shady leben meine Wut und mein Temperament Eminem ist bloss der Rapper, und als Marshall Mathers gehe ich abends ins Bett.“ Nun verkaufen alle drei zusammen Millionen Platten, sein zweites Album „The Marshall Mathers LP“ wurde bisher 1,8 Millionen Mal allein in Europa verkauft, weltweit an die zehn Millionen Mal.
„Um über eine Million Hip-Hop-Platten zu verkaufen, brauchst du weiße Käufer“, sagt der Kollege Ice-T. Eminem hat alle. In seiner Musik dürfen sich Schüler an ihren Lehrern rächen, ihren Babysitter vernaschen und ihre Eltern ermorden. Er erzählt von Sex mit Minderjährigen oder wie Christina Aguilera dem Sänger von Limp Bizkit einen bläst. Er hängt sich an seinem Gemächt an einem Baum auf, oder er fährt mit seiner Tochter durch die Gegend, im Kofferraum das eben abgemurkste Weib. In seinen Texten nehmen die Leute Überdosen und vögeln in der Gegend herum, als würde in einer Stunde die Welt untergehen, eine Welt, die einem vorkommt wie ein schlechter Trip in die Unterwelt, wo alle Egos hindürfen, nur das über-Ich nicht. Dafür liebt ihn die Hip-Hop-Gemeinschaft. Seine Platten kommen nicht aus dem Untergrund, dem Nährboden des Hip-Hop sie sind die Früchte, obendrein sehr gut produziert, hervorragend vermarktet und, was weitaus wichtiger ist für Popmusik: am Puls der Zeit.
Er fängt den Moment ein, in dem man vor dem Fernseher sitzt und überlegt, wie es wäre, wenn man einfach reintreten würde. Oder seinen Hund aus dem Fenster werfen. Oder seine Nachbarin verprügeln. „Wer krank genug ist, sowas zu denken, ist auch krank genug es auszusprechen“, sagt er. Dass die Leute das kaufen und mitsingen – je unkorrekter die Zeile, desto lauter – , dafür kann er ja nichts.
Was meint der weiße Junge, wenn er „Yo“ sagt? Eminems Antwort ist: „Alles ist scheiße, und wenn du nicht aufpasst, fängst du dir eine.“ Das passt prima in die Jerry Springer Show, wo Familienmitglieder einander Grobheiten an den Kopf werfen, sich anspucken und vor laufender Kamera vermöbeln – das wahre Leben.
Eminem wurde 1975 als Marshall III Mathers in Kansas City geboren. Seine Mutter war damals siebzehn und hatte seinen Vater mit fünfzehn geheiratet. Die Eltern tingelten mit einer Band durch die USA, und als Marshall sechs Monate war, machte sich sein Vater aus dem Staub und liess bis heute nie wieder etwas von sich hören – sagt Eminem.
Bis er elf Jahre alt war, wohnten sie bei Verwandten und liessen sich erst nieder, als sein jüngerer Bruder Nathan geboren wurde, das war 1986, da zogen sie in einen Vorort von Detroit und waren in dem schwarz-arabischem Viertel eine von drei weißen Familien – arm, untere weiße Mittelklasse. Er wurde regelmässig von den Kindern der Nachbarschaft verprügelt. „Rassismus eben andersrum“, sagt Eminem.
Sein Onkel Ronnie gab ihm seine erste Hip-Hop-Platte, „Reckless“ von Ice-T von dem „Breakin?“-Soundtrack, später brachte der Onkel sich um. Seine Mutter war zu nichts zu gebrauchen, eine „pillenschluckende Versicherungsbetrügerin“, die ihn ständig von zu Hause rauswarf. Nach der neunten Klasse war er dreimal sitzengeblieben und verliess die Schule, um Geld zu verdienen. Mama war ja arbeitslos.
„Alles Quatsch“, sagt die. Ihr Sohn sei in einem drogen- und alkoholfreien Haushalt aufgewachsen, sie habe keine Pillen geschluckt, und überhaupt würde der Bengel das nur erzählen, um sich wichtig zu machen. Sie hat ihn wegen Rufmords – ihr sind mehrere Lieder auf beiden Platten gewidmet – im September 1999 auf zehn Millionen Dollar Schadensersatz verklagt, und als er damit nicht aufhören wollte, im August dieses Jahr nochmal um eine Million Dollar mehr.
Mit 16 lernte er seine bald geschiedene Frau kennen, Kim. Ihre Beziehung war wechselhaft. Auf seinem Bauch hat er eine Tätowierung. Es ist ihr Grabstein und darunter steht: „Rot in Pieces“. Er arbeitete am Fliessband und später als Koch für 5,50 Dollar pro Stunde. Während der Schule hatte er gerappt, und war dafür zwar nicht verprügelt, aber ausgebuht worden. Er machte weiter. Er war besser als die meisten, gewann Hip-Hop-Wettbewerbe, gründete eine Gruppe namens Dirty Dozen und veröffentlichte 1996 seine erste Platte „Infinite“. Leben konnten die Mathers davon nicht.
Ein Jahr später, kurz vor Weihnachten, verlor er seinen Job und hörte nicht etwa auf zu rappen, sondern schrieb noch gemeinere Texte, weil er so wütend war und überall so wenig willkommen: zu arm für die weiße Mittelklasse, zu weiß für die schwarze Hip-Hop-Gemeinschaft. Im eigenen Viertel wurden die Mathers ständig beklaut, von den Nachbarn gemieden, und als sie völlig pleite waren, zogen sie erst zu seiner Mutter, bis er wieder hinausflog und bei Freunden unterkam. Dann gelangte sein Demo-Band in die Hände von Dr. Dre.
Eine Woche später sassen die beiden im Studio und nahmen „My Name Is“ in nur einer Stunde auf. Das Video dazu lief von Januar 1999 an auf MTV und löste einen Boom aus. Die Single stieg prompt auf Platz 2 der Billboard -Charts ein, verkaufte sich in der ersten Woche 280. 000 Mal, das Album „The Slim Shady LP“ bis heute mehr als vier Millionen Mal.
In diesem Jahr wurde Eminem wegen einer Prügelei und illegalem Waffenbesitz verhaftet und angeklagt. Im Juni unternahm seine Frau einen Selbstmordversuch, einen Monat später reichte sie die Scheidung ein. Die 10-Millionen-Dollar-Klage wegen Rufmordes hat sie fallen gelassen.
Eminems Leben und Musik bedienen alle Klischees und erfüllen alle Kriterien des White Trash Themen: Sex und Betrug, Verhalten: primitiv, Manieren: keine. Nun ist er aber kein Nihilist, der sagt: Alles ist egal. Er ist ein kleiner Junge, der immer nur eines denkt: Ihr seid alle scheisse. Und mit „alle“ meint er in diesem Fall: Britney Spears (Shitney Queers), die Boygroup N’Sync (N’Stink), die Mama, das Weib, die weiße Mittelklasse und die schwarze erst recht.
Er ist der erste Rapper des White Trash, der damit Millionen verkauft. Seine Kollegin Lauryn Hill gewann jedenfalls keine Grammys, weil sie über Quizsendungen oder Soap Operas sang. Eminem schon. Sein Stil ist nicht neu, klingt aber eigen. Er betont gegen den Rhythmus und schreibt komisch reflexive Reime. Mal ist er der frustrierte Junge, patzig und verwundbar, dann wieder ein ganz normaler Psychopath, der Alptraum der Mittelschicht von Amerika. Er präsentiert sich in Zwangsjacken, und die Klapsmühle ist keine Koketterie, es ist das wahre Leben. Hört man nicht so genau hin, kann einem seine Musik extrem auf die Nerven gehen. Hört man aber zu, bekommt man Angst.
Doch wenn ein Rapper sagt: „Ich hau dich kaputt, du alte Schlampe“, meint er das normalerweise nicht böse. Rapper benutzen die harte Sprache ihrer Umgebung und nicht die innere, möglicherweise weiche. Die Brutalität ihrer Worte ist ein Spiegelbild ihrer Welt, nicht ihrer Seele.
Die Welt, aus der Marshall Mathers stammt, ist Detroit. Dort hatten die Schwarzen schon immer eine Affinität zu Rock, später zu Techno und die Weißen schon immer eine Vorliebe für schwarze Musik. Um der rostigen, abgerockten Umgebung zu entfliehen, erfanden sich die schwarzen Mittelklassejungs alter egos . Das waren Astronauten (wie beim Funk), Science Fiction-Figuren (wie beim Techno), und auch Eminem sagt: „Ich bin nur ein Geist mit einem Beat.“
Der Musiker Kool Moe Dee erklärte einmal, warum die Leute so gerne Rap hören: „Wenn sie Hunger haben und keinen Pfennig in der Tasche, wollen sie wissen, warum das so ist. Das Kind aus der Bronx hört Rap.“ Das Kind aus dem sozialen Wohnungsbau im Mittelwesten hört auch Rap. Es hört Eminem. Das ist authentisch. Und Eminem benutzt die Sprache der Schwarzen, Hip-Hop. Weil das in Amerika so eine Art Volksmusik ist, darf man sich darüber eigentlich nicht mehr wundern, tun die Leute aber doch. „Die Situation war schon peinlich“, sagt sein Produzent Dr. Dre über die erste Begegnung, „als würde ein Schwarzer Country- und Western-Lieder singen.“
Im Sandkasten wird ein Kind nicht gefragt, ob es neue innovative Förmchen mitgebracht hat, wenn es mitspielen will – bei schwarzer Musik schon. Das war auch Blondie so gegangen. Oder Malcolm Mc Laren, auch Gruppen wie 3rd Bass , den Chicanos , den Young Black Teenagers oder den Beastie Boys . Letztere hatten in den Achtzigern ihren Alltag beschrieben, den eines Mittelklassejungen mit Minderwertigkeitskomplexen. Eminem macht im Grunde dasselbe, er beschreibt den Alltag eines Jungen, der unter den Standards der Mittelklasse lebt, sich aber nach ihr sehnt, und das umso mehr, je heftiger er abgelehnt wird. Er kommt aber noch viel arroganter daher als die anderen, weil er auf alles pfeift, auch auf die Komplexe und auf die Würde.
Niemals würden etwa die Beastie Boys auf ihre Stüssy-T-Shirts kotzen. Eminem wäre auch das zuzutrauen. „Hallo, ich heisse Marshall Mathers und bin Alkoholiker“, sagt Eminem auf seinem Debutalbum. Sein Manager Paul Rosenberg meinte damals: „Platten zu machen ist für den Jungen Psychotherapie.“ Für Millionen Leute ist das Zuhören eine Therapie, die sie sonst nie machen würden.
AREZU WEITHOLZ