erschienen im SZ-Magazin, 1999: Interview mit The Artist, formerly known as Prince in Minneapolis, Paisley Park Studios
SZ-Magazin: Ab vierzig wird der Mensch ruhig sagt man. Sie sind gerade vierzig geworden und wirken ziemlich nervös.
The Artist: Mir ging gerade eine neue Melodie durch den Kopf, und immer wenn ich eine Idee habe, muß ich sie sofort aufnehmen. Das ist wirklich zum Verrücktwerden. Neulich war Lenny Kravitz hier, und wir spielten eine Partie Poolbillard. Plötzlich meinte er: „Was denkst du, wie sich wohl eine verkehrt herum gespielte Oboe zusammen mit einer zwölfsaitigen Gitarre anhört?“ Wir haben sofort die Queues fallen lassen und sind ins Studio gerannt. Das ist bei mir im Keller.
SZ-Magazin: Spielen Sie gut Pool?
Ha, Sie denken wohl, einer wie ich spielt nicht gut Billard, was? Ich gehe sogar bowlen. Das ist das Größte überhaupt! Bowling macht Riesenspaß.
SZ-Magazin: Man muß mit einer Kugel die Kegel umschmeißen, korrekt?
Ich merke schon, Sie waren noch nie richtig bowlen. Das Schönste daran sind die Leute. Wir gehen immer mit vielen hin, die hier gerade in Paisley Park arbeiten, mit Larry Graham, Chaka Khan, meiner Frau, unseren Freunden, anderen Musikern. Wir lachen uns dabei halbtot. Mit der Kugel irgend etwas zu treffen, das ist überhaupt nicht wichtig.
SZ-Magazin: Ist das nicht der Sinn des Spiels?
Ja, da haben Sie recht. Vielleicht verliere ich deswegen so oft gegen die anderen. Aber wissen Sie was? Das ist mir egal.
SZ-Magazin: Derzeit hört man überall wieder ihren alten Hit 1999. Wo werden Sie Silvester und Neujahr verbringen?
Im Licht. 1999 ist ein wichtiges Jahr für musikalische Botschaften.
SZ-Magazin: Was ist ihre?
Freiheit, das war schon immer meine Botschaft. Ich war von dem Gedanken sogar eine Zeitlang so besessen, daß ich mir das Wort „Sklave“ auf die Backe gemalt habe. Sie wissen doch warum, oder?
SZ-Magazin: Aus Protest dagegen, daß Sie die Rechte an ihrer Musik verloren hatten.
Genau. Erst seit kurzer Zeit besitze ich wieder die volle Kontrolle über das, was ich erschaffe: Meine Masterbänder gehören endlich mir. Ich allein entscheide, wann ich was, wie und wo veröffentliche. Und es funktioniert.
SZ-Magazin: Es ist aber schon eine ganze Weile her, daß Sie einen Hit hatten.
Und es wird vielleicht auch noch lange dauern, bis ich wieder einen schreibe. Vielleicht nie wieder. Erschreckt Sie das?
SZ-Magazin: Mich nicht.
Wenn ich wollte, könnte ich sofort wieder einen schreiben. Aber warum sollte ich das?
SZ-Magazin: Geld? Ruhm? Spaß?
Das habe ich doch schon alles. Außerdem verdiene ich inzwischen viel mehr Geld als vorher. Nicht mehr sieben Cent, sondern sieben Dollar pro verkaufter Platte. Hitplatten sind für mich langweilig geworden. Wenn ich ein Album veröffentliche, dann möchte ich, daß es eine Geschichte erzählt wie bei Miles Davis oder John Coltrane früher. Man kann immer spezielle Perioden in ihren Arbeiten heraushören. Ich will Platten machen, bei denen Sie wie damals die Nadel vom Plattenspieler irgendwo aufsetzen können, egal an welcher Stelle, und jedes Lied ist ein Kapitel der ganzen Geschichte. Platten von Larry Graham oder Stevie Wonder haben diese Qualität. Mit denen treffe ich mich oft. Ich verbringe meine Freizeit mit den großartigsten Musikern unserer Zeit, nicht mit dem Schreiben von Hitsingles.
NSZ-Magazin: ehmen Sie diese Musiker auch mit auf Ihre Europa-Tournee?
Die meisten. Wir haben Larry Graham, Chaka Khan und sogar einen großen Teil von Sly and the Family Stone mit dabei. Es wird kein Konzert unter drei Stunden geben, wobei sich das nur auf meinen Part bezieht. Danach spielen noch die anderen. Und dann gibt es meist noch einen „after show jam“. Leute mit Herzschwäche oder schlechter Kondition sollten also lieber zu Hause bleiben.
SZ-Magazin: Werden Sie auch ihre alten Lieder wie Purple Rain spielen?
Und ob! Das sind doch meine Geschöpfe. Ich liebe sie.
SZ-Magazin: Es heißt, Sie verfügen über ein Archiv von etwa tausend unveröffentlichten Liedern. Auf Tonbändern oder nur als Noten?
Ich schreibe Musik in meinem Kopf, der Rest ist dann nur noch Diktat. Ich spiele vor, und die Musiker im Studio müssen so lange daran arbeiten, bis es richtig klingt. Daher kommt wohl auch mein Ruf als manischer Irrer. Ich nehme das aber als Kompliment. John Coltrane spielte pro Tag zwölf Stunden Saxophon. Können Sie sich das vorstellen? Ich will 15 Stunden am Tag Musik machen. Länger.
SZ-Magazin: Werden Sie nie müde?
Früher habe ich mir immer gewünscht, müde zu werden. So wie die anderen. Aber richtig müde wurde ich nie. Wissen Sie, vor meiner Frau Mayte gab es für mich nur die Musik. Sie war für mich der einzige Grund zu leben. Ich konnte immer nur drei Stunden pro Tag schlafen, von sechs Uhr bis neun Uhr morgens.
SZ-Magazin: Muß ganz schön anstrengend gewesen sein.
Man selbst merkt das kaum. Mein Kopf wollte einfach nicht schlafen. Ich lag im Bett, und schon hatte ich eine Idee. Ich wußte dann, ich muß das sofort aufnehmen und daran arbeiten, bis alles stimmt. Deswegen konnte ich nie lange schlafen.
SZ-Magazin: Und heute?
Viel, viel besser. Vier Stunden, manchmal sogar fünf.
SZ-Magazin: Ihre Frau scheint sich zum Multitalent zu entwickeln. Sie hat die New Power Generation (NPG) Dance Company gegründet, ist Mitglied ihrer Gruppe und hat bei Ihrem neuen Video sogar zum ersten Mal Regie geführt.
Mayte will Regisseurin sein. Wieso nicht? Als Andy Warhol eine Suppendose gemalt hat, war er ein Künstler. Ist Kunst weniger innovativ, wenn sie kommerziell ist? Einer meiner größten Songs, When Doves Cry, hatte noch nicht einmal einen Baß.
SZ-Magazin: Einen anderen haben Sie gerade umgetauft. Warum heißt The Cross jetzt plötzlich The Christ?
Das mußte ich tun, weil ich ihn so nicht mehr singen konnte. Ich verkünde damit aber keine Botschaft, ich will auch niemandem predigen, woran er glauben soll.
SZ-Magazin: Sondern?
Ich habe mich mal genauer mit Symbolen beschäftigt. Das Kreuz als Symbol ist nicht positiv. Christus am Kreuz, Leiden, Sterben, Tod. Gucken Sie sich mal in unserem Alltag um, wo da überall Kreuze sind. Gruselig! Sogar auf Krankenwagen! Da frage ich mich doch, ob diejenigen, die da drin liegen, auf dem Weg zum Leben oder auf dem direkten Weg in den Tod fahren. Na, jedenfalls kann ich das Lied etzt wieder singen.
SZ-Magazin: Ihr Musikerkollege George Clinton hat einmal gesagt er habe erst begonnen sich mit Religion zu befassen, nachdem er seinen ersten LSD-Trip eingeworfen hatte. Etwas so Schlechtes wie Drogen habe soviel Positives bewirkt…
…hat er wirklich gesagt, Drogen seien schlecht? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin mit seiner Musik und mit der von Larry Graham aufgewachsen; später wurden wir Freunde. Funk ist ein Teil von mir. Speziell die Musik von Clinton, seine Visionen, seine Vorstellung von den Wurzeln afroamerikanischer Kultur – da sind wir sehr ähnlich. Ich weiß, er mag Drogen und Pyramiden. Sie sollten mal mit ihm sprechen.
SZ-Magazin: Clinton glaubt, die Pyramiden in Ägypten seien von Außerirdischen gebaut worden.
Ja, lustig, oder? Ich für meinen Teil denke selten darüber nach, wer was getan hat, sondern lieber darüber, wieso jemand etwas tut. Mich interessiert die Motivation, das Warum. Nichts ist ohne Grund auf dieser Welt. Auch die Pyramiden nicht.
SZ-Magazin: Waren Sie mal in Ägypten?
O ja, vor zwei Jahren. Meine Frau und ich sind mit einem Mietwagen zu den Pyramiden gefahren. Auf der Fahrt ist mir etwas Unglaubliches passiert. Ich hatte plötzlich ein dumpfes Brummen im Ohr, wie bei einem Erdbeben. Wissen Sie, wie sich so was anhört?
SZ-Magazin: Nein.
Okay, stellen Sie sich vor, es macht brouuuurrrrr, und das Geräusch kommt von überall her – von oben, von unten, und in dir drin ist es auch. Ich fragte meine Frau, aber nur ich konnte es hören.
SZ-Magazin: Wie unheimlich.
Gar nicht unheimlich. Es gibt wenig, was mich auf dieser Welt erschreckt. Es war unglaublich – dieses Brouuuurrrrr, es ging nicht weg. Im nächsten Moment bogen wir um eine Ecke – und direkt vor mir, was sah ich? Die Spitze der größten Pyramide. Je näher wir heranfuhren, desto lauter wurde das Brummen, desto sicherer fühlte ich mich. Da wußte ich, ich wir schon einmal hier.
SZ-Magazin: In einem früheren Leben?
Bestimmt nicht im jetzigen. Ich reise extrem ungern. Ich mochte das noch nie, in Urlaub fahren. Ich habe mir die Dinge immer lieber vorgestellt. Den Eiffelturm etwa, den wollte ich nie sehen. Auch nicht, als ich zum ersten Mal in Paris war.
SZ-Magazin: Hatten Sie bei ihrem Erlebnis damals in Ägypten keine Angst?
Überhaupt nicht. Außer vor der Wahrheit brauchen wir Menschen keine Angst zu haben. Vielleicht muß man sich noch vor dem Jahr 1999 fürchten, aber das betrifft nur die Unwissenden, die, die nicht genug lieben.
Interview: Arezu Weitholz